Mittwoch, 20. Mai 2009

PREKÄRE BESCHÄFTIGUNG: Gute Arbeit - Soziale Sicherheit?

Stefan (AfA) schreibt in einem Gastbeitrag:

Atypische und prekäre Beschäftigung boomen. Da sich prekäre Arbeit weiter ausbreitet und massive Auswirkungen auch auf Nichtbetroffene hat, ist es sinnvoll, dass die innerparteiliche Auseinandersetzung mit diesem Thema auch einmal durch die "Brille" der Betroffenen diskutiert wird.
Atypische Beschäftigung bestimmt sich aus der Abgrenzung zum Normalarbeitsverhältnis bzw. der Unterscheidung von zentralen Eigenschaften des "Normalarbeitsverhältnisses", das üblicherweise durch folgende Merkmale gekennzeichnet ist:

- eine Vollzeittätigkeit oder eine Teilzeittätigkeit mit mindestens der Hälfte der üblichen vollen Wochenarbeitszeit,
- ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis,
- die Integration in die sozialen Sicherungssysteme,
- die Identität von Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis.

Unter "atypischer Beschäftigung" werden alle abhängigen Beschäftigungsverhältnisse verstanden, die eines oder mehrere der folgenden Merkmale aufweisen:

- Befristung,
- Teilzeitbeschäftigung mit 20 oder weniger Stunden,
- Leiharbeitsverhältnis,
- geringfügige Beschäftigung,
- (Tele-)Heimarbeit,
- "abhängige" Selbstständigkeit (Scheinselbstständigkeit),
- Kurzarbeit.

Atypische Beschäftigung kann häufig mit prekärer Beschäftigung einhergehen, ist mit dieser aber nicht gleichzusetzen. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse sind nicht geeignet, auf Dauer den Lebensunterhalt einer Person sicherzustellen und/oder deren soziale Sicherung zu gewährleisten. Wer prekär beschäftigt ist, befindet sich in einer eigentümlichen Schwebelage. Einerseits hat er das Muster der "Normalarbeit" immer noch vor den Augen und die Hoffnung, diese zu erreichen. Andererseits ist er ständig von dauerhafter Ausgrenzung bedroht. Prekär Beschäftigte sind die Ersten, denen in Krisenzeiten Entlassungen drohen. Ihnen werden bevorzugt die unangenehmen Arbeiten aufgebürdet. Sie sind die Lückenbüßer, die "Mädchen für alles", die mit anhaltender Dauer der Unsicherheit allmählich verschlissen werden.
Wenn sich die prekär Beschäftigten im unmittelbaren Erfahrungsbereich der über Normalarbeitsverhältnisse Integrierten bewegen, wirken sie als ständige Mahnung und Bedrohung. Festangestellte spüren die Angst vor Ersetzbarkeit, wenn sie die Leistungsfähigkeit der Externen sehen. Sie stellen fest, dass ihre Arbeit mit gleicher Qualität auch von Menschen bewältigt wird, die dafür Arbeits- und Lebensbedingungen akzeptieren, denen sie selbst nicht zustimmen wollen. Auch wenn z. B. Leiharbeiter und befristet Beschäftigte im Betrieb meist nur kleinere Minderheiten sind, wirkt ihre bloße Gegenwart einschüchternd auf die Stammbelegschaften. In Bereichen mit hoch qualifizierten Angestellten produzieren "Freie Mitarbeiter" und neuerdings auch Zeitarbeitskräfte einen ähnlichen Effekt. Die Existenz prekärer Arbeitsverhältnisse schafft auf dem gesamten Arbeitsmarkt ein Klima von Angst und Unsicherheit und mindert auch die Durchsetzungsfähigkeit von Arbeitnehmerinteressen.
Viele dieser Jobs sind unsicher und niedrig bezahlt. Atypische - vom Normalarbeitsverhältnis abweichende - Beschäftigungsverhältnisse gewinnen an Gewicht. Sie können keinesfalls über einen einheitlichen Leisten geschlagen und pauschal beurteilt werden. Meist haben sie aber zu einem Abbau kollektiver Schutz- und Sicherungsniveaus beigetragen. Atypische Arbeitsverhältnisse haben zweifelsohne den Betrieben größeren Gestaltungsspielraum eröffnet und können teils auch in bestimmten Lebenslagen spezifischen Wünschen der Beschäftigten entgegenkommen (wie Hinzuverdienstmöglichkeiten). Angesichts nach wie vor hoher Arbeitslosigkeit und dem Druck des Marktes bleibt oftmals für Arbeitnehmer aber auch keine andere Alternative. Atypische Arbeit eröffnet den Betrieben verbesserte Chancen zur Optimierung des Arbeitseinsatzes und der Kapazitätsauslastung; die Produktivität kann gesteigert und die Arbeitskosten gesenkt werden.
Immer häufiger geht atypische Beschäftigung mit Niedriglohn einher. Viele Erwerbstätige müssen sich finanziell nach der Decke strecken und via Hartz IV müssen in steigendem Maße Löhne aufgestockt werden, die zur Sicherung der Existenz alleine nicht ausreichen. Für die betroffenen Arbeitnehmer ist es entwürdigend, wenn sie von der eigenen Arbeit nicht leben können. Auch wenn sie Beiträge zur Finanzierung des Sozialstaates leisten, müssen sie sich einer Bedürftigkeitsprüfung des gläsernen Fürsorgestaates unterwerfen. Für die noch Beschäftigten hingegen fördert die Unsicherheit und Angst vor Hartz IV die Hinnahme auch schlechterer Arbeit.
Wettbewerbsdruck und unsichere Beschäftigung verstärken die seelischen Anspannungen. Körperliche Belastungen verlieren oftmals zulasten psychischer an Gewicht. Eine ungünstige Lage der Arbeitszeit erhöht die sozialen Belastungen. Besonders gefährdet sind prekär Beschäftigte, die viel arbeiten, wenig verdienen und in eine unsichere Zukunft blicken.
Zugleich drohen Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Unternehmen, wenn einige sich die Armutsfalle zunutze machen sollten und Hungerlöhne durch Hartz IV aufstocken lassen. Es entsteht eine Spirale des Lohndrucks nach unten. Der gesellschaftliche Preis der Deregulierung ist hoch!

Keine Kommentare: